Der Katzenfall
Katzen sind graziöse, geschmeidige Tiere. Ihre Bewegungen sind harmonisch,
ihr Gleichgewichtssinn außergewöhnlich. Sie sind die perfekten
Jäger,
lautlose Tötungsmaschinen.
Sagt wer? Jedenfalls niemand, der bei mir zu Besuch war. Ich erzähle
meinen
Gästen, dass die beiden Lebewesen zwar Katzen unglaublich ähnlich
sehen,
aber eine seltene brasilianische Meerschweinchenart sind. Damit bin ich
erst
mal aus dem Schneider.
Meine Katzen weigern sich beharrlich, die für ihre Gattung geltenden
Mindeststandards zu erfüllen.
In Universum-Dokumentationen kann ich staunend mitverfolgen, wie eine
durchschnittliche Hauskatze, die sich in nichts von meinen Meerschweinchen
unterscheidet, mit einem Sprung mühelos eine Höhendifferenz von
1,5 Meter
überwindet, punktgenau auf einem Mauervorsprung von der Fläche
einer
Zigarettenschachtel landet, um von dort mit einem weiteren Sprung den
restlichen Meter bis zum Ende der Mauer zu bezwingen. Oben angekommen blickt
sie mit einem demonstrativ gelangweilten Gesichtsausdruck in die Kamera,
als
wollte sie sagen "So, aber morgen mach ich was wirklich schweres".
Einer der Lieblingsschlafplätze unseres Katers ist das Hochbett meines
Sohnes. Ein Kinderbett, ca. einen Meter hoch ist der Ausgangspunkt für
eine
Szene, die die Seriosität wissenschaftlicher Studien über Katzen
in Frage
stellt. "Das Tier" visiert die Oberkante an, indem er seinen Kopf
einmal auf
die eine Seite und dann wieder auf die andere dreht. Ich habe einmal
gelesen, dass Katzen auf diese Art eine genaue räumliche Vorstellung
von
ihrem Ziel bekommen, ihr Gehirn so die genaue Entfernung berechnen kann.
So
ähnlich wie beim Terminator - "Target locked!" am Display.
Seine Hinterläufe
justieren ein letztes Mal die optimale Absprungposition nach, alle Muskeln
spannen sich, er duckt ab...und springt. Wie eine Bogensehne schnellt sein
Körper elegant nach oben.
Entweder hat irgendein Fließkommafehler in seinem Berechnungscomputer
dazu
geführt, dass er die Höhe falsch eingeschätzt hat, oder er
ist ganz einfach
nur zu fett. Jedenfalls springt er zu kurz. "Das Tier" hakt sich
mit den
Vorderpfoten auf der Matratze ein und er hängt wie ein nasser Sack
an der
Bettkante. Da seine Hinterläufe keinen Halt finden, bleibt ihm nichts
anderes übrig, als sich mit den Vorderpfoten weiterzuziehen. Das
funktioniert solange, bis er sich auf der Bettdecke einhakt. Das Gewicht
der
Decke in Kombination mit dem Reibungswiderstand, den ihre große
Auflagefläche bietet, reicht aus, um kombinationslose acht Kilo Kater
für
zwei Sekunden in der Luft zu halten, dann reicht es der Schwerkraft. Wenn
Katzen fallen, dann kommen sie immer auf den Füßen auf?
Vielleicht hat der Satz in einer anderen Situation, mit einer anderen Katze,
in einem anderen Universum seine Gültigkeit. Das Tier knallt mit dem
Rücken
am Boden auf und gleich danach breitet eine dünne Tagesdecke einen
gnädigen
Mantel über dieses unwürdige Schauspiel. Als "das Tier"
Sekunden später
darunter hervorkommt, blickt er mich mit einem demonstrativ vorwurfsvollen
Gesichtsausdruck an, als wollte er sagen "Du hast es gewusst und nichts
dagegen unternommen!", bevor er sich mit einem geschmeidigen Sprung
auf der
40 cm hohen Couch niederlässt. Er sollte mir stattdessen danken, dass
ich
ihm nicht die Krallen schneide, sonst würde er - der Möglichkeit
beraubt,
sich einzuhaken - von seinem eigenen Schwung unter das Bett gezogen werden,
dort einen Salto schlagen und an der Wand zerschellen.
Es gibt kein Ziel, an dem meine Katzen nicht vorbeigeschossen wären.
Ob eine
Strecke horizontal oder vertikal zu überwinden war, spielt in der
Gesamtbilanz keine Rolle.
Sie verweigern sich seit Jahren der Erkenntnis, dass beim Satz von einem
Stuhl auf den anderen, nicht die gesamte Energie in den Vortrieb fließt,
sondern ein Teil davon als Rückstoß den Ausgangspunkt verschiebt.
Und das
was hinten dazukommt, geht dann vorne ab. Warum wissen das andere Katzen?
Haben sie ein Diplom in technischer Physik? Nein, sie haben einfach aus
Fehlern gelernt!
Dabei sind "das Tier" und "Sie" sonst durchaus lernfähig.
Sie wissen, wie
eine Gourmet-Dose kling, wenn sie aufgerissen wird, noch bevor man sie
aufreißt. Damit kann ich zwar nicht vor meinen Gästen prahlen,
ist aber
trotzdem faszinierend.
Entnommen: http://www.muenchhausen.at, gepostet von Armin Walter am 05.07.2005