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Halloween 2007: KASSIA oder Die Treppe oder 12 Stunden

Kassia hatte einen besonderen Fang gemacht. Eine dicke, fette Ratte. Sie schleppte die Ratte fast unverletzt durch das immer halb für sie geöffnete Fenster in ihr Daheim, das im Keller anfing. Da würden sich ihre Menschen aber freuen, über diese Beute, dachte Kassia.

Kassia schleppte die Ratte vor die Mülleimer im Keller. Sie spielte noch ein bisschen mit ihr und schlug dann zu. Dann hörte sie etwas, einen Ruf ihrer menschlichen Familie und ließ Ratte Ratte sein.

Dunkel war der Blick, mit dem Kassia ihre Familie ansah. Voller Ernst. Offen und doch verhalten.

Da war Karola, die Zweibeinerin. Und da war Kaha, eigentlich Karlheinz, der Zweibeiner ... und da war dieses komische schreiende Etwas, undefinierbar und dennoch, Kassia versuchte sich zu erinnern, an etwas in ihrer Vergangenheit. Dunkel, so dunkel.

Kassia sprang auf und schlich um die Beine von Kaha. Sie wollte gestreichelt werden, sie wollte essen. Kaha streichelte sie flüchtig, aber er gab ihr nichts. Kassia spürte seine geistige Abwesenheit.

Dann war sie wieder alleine mit Karola und dem kleinen Bündel. Karola weinte. Kassia wollte sie trösten, wie sie es früher, als dieses so oft schreiende Dings noch nicht da war, immer getan hatte. Sie sprang auf die S essellehne. Karola hatte dieses Bündel im Arm und weinte. Den Kummer konnte Kassia riechen, Kummer riecht schlecht, der Geruch von Kummer macht Angst. Kassia stellte eine Pfote auf Karolas Arm. Karola lehnte sich zurück und schob Kassia weg. Das Bündel entglitt ihren Händen und rutschte langsam von ihrem Schoß auf den Boden. Dort wimmerte es weiter.

Mit einer gleitenden Bewegung befand sich auch Kassia auf dem Boden und näherte sich dem Bündel. Verhalten, fast ängstlich. Neugierig und fluchtbereit. Verwundert blickte sie in ein von der Anstrengung des Weinens krebsrotes kleines Gesicht, schwer zu definieren für Kassia. Schnuppernd näherte sie sich, dann glitt ihre raue Zunge tröstend über das Gesichtchen und sie schnurrte, sanft. Da hörte das Wimmern auf und das Baby beruhigte sich. Kassia legte sich neben das Wesen und wärmte es.

Dann wachte das Menschenbaby wieder auf. Kassia erinnerte sich dunkel an drei kleine Kätzchen, die gewimmert hatten und die dann fort waren, einfach fort, der Kummer, den sie damals gespürt hatte, war wieder gegenwärtig. Sie wollte dieses Junge beschützen. Sonst würden sie es vielleicht auch wegbringen und sie würde es niemals mehr wiedersehen.

Es war ein schweres Junges, sehr schwer. Kassia war aber eine große Katze und stark. Und sie hatte ein Versteck, von dem keiner wusste. Verstecke sind wichtig, das hatte Kassia schon vor Jahren erkannt, als sie noch kein Zuhause hatte.

Kassia öffnete die Tür, das hatte sie schnell gelernt, als sie in die Behausung der Zweibeiner eingezogen war und sie zerrte das Bündel. Da, tief unter der Treppe, war ein Winkel, der nicht einsehbar war. Dorthin schleppte sie das kleine Wesen. Zwischendrin wollte sie es einmal aufgeben, weil es so schwer war. Aber da fing das Bündel wieder an zu wimmern und Kassia erinnerte sich. Und sie tröstete das Menschenkind mit gurrenden Lauten und rauer Zunge und zog es mit letzter Kraft in den sicheren Hort.

Als Kaha heimkam, fand er Karola schlafend im Sessel vor. Er lächelte, deckte sie mit einer Wolldecke zu und ließ sie schlafen. Und dachte, endlich schläft auch unser Kind einmal und Karola hat Ruhe. Wenn Karel heute Nacht aufwacht, werde ich aufstehen und ihm die Flasche geben. Und ging schlafen.

Währenddessen schaffte die Natur bei Kassia in kurzer Zeit, was nur Instinkt und unbegreifliche Schöpfung fertig bringt. Kassia entwickelte Milchdrüsen, sie wollte das Junge unbedingt säugen. Und sie wusste instinktiv, dass ihr neues, geliebtes, beschütztes Junges hier nicht wirklich sicher war. Nur zunächst.

In aller Frühe, am nächsten Morgen, fing das Menschenkind wieder an zu weinen. Kassia legte sich so, dass das kleine Wesen nach ihr griff und dann, tatsächlich, eine der Zitzen in den Mund bekam. Es saugte. Und es schlief wieder ein. Vielleicht war das mehr ein Zufall, oder auch ein Wunder. Und das Baby schlief, vom Schnurren seiner Pflegemutter sanft eingelullt.

Dann war es hell in der Welt. Kassia hörte, dass Kaha aufstand. Er ging als erstes ins Wohnzimmer und fand seine Frau schlafend vor. Dann ging er nach oben und schaute ins Kinderzimmer.

Kassia vernahm den unterdrückten Schrei und duckte sich tiefer in die dunkle Ecke unter der Treppe. Dann kam er zurück, er nahm drei Stufen auf einmal und schüttelte seine Frau rücksichtslos, die nur langsam zu sich kam. "Wo ist Karel? Wo ist Karel?" Kahas Stimme überschlug fast. "Was?" Karola erwachte vollends und sah sich um. "Er war doch eben noch hier. Ich hielt ihn im Arm." Suchend, ungläubig sah sie sich um.

"Er ist weg, fort, verstehst du?" Kahas Stimme überschnappte immer noch. "Unsinn." Karola antwortete schleppend. Und dann, misstrauisch: "Du willst mich verrückt machen. Du hast ihn versteckt. Wo ist er, bei deiner Mutter, bei deiner Schwester?"

Kaha hielt seine Frau auf Armeslänge von sich ab und sah sie mit einem Blick an, der ausdrückte, dass er glaubte, mit einer Unzurechnungsfähigen zu reden. Dann stieß er sie unsanft zurück in die Sitzlehne der Couch. Kaha rannte durch das ganze Haus, er sah in alle Räume.

Währenddessen dämmerte es Karola, dass mit Karel etwas Schlimmes passiert sein konnte. Sie dachte an ihre Wochenbettdepression ... und sie konnte sich nicht wirklich erinnern. Sie hatte doch nur dagesessen und Karel die Flasche gegeben. Sie hatte ihm doch nichts getan. Doch sie hatte keine Erinnerung daran, ihn in sein Bettchen gebracht zu haben. Sie wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war.

Taumelnd stand sie auf und wankte ins Kinderzimmer. Da war das unberührte Bettchen.

Im Flur rannte sie fast mit Kaha zusammen. In seinen Augen stand helles Entsetzen. " Wo ist Karel?" Er schrie nicht mehr, er flüsterte. "Er ist hier, er muss hier sein." In Karolas Augen stand dasselbe Entsetzen.

"Im Keller, wir waren noch nicht im Keller!" Sie rannten die Treppe hinunter. "Da, da ist Blut." Kaha starrte auf eine Blutspur vor den Mülleimern. "Wir müssen die Polizei anrufen." Karolas Stimme hörte sich tonlos an. Kaha öffnete einen der Mülleimer nach dem anderen mit Panik in den Augen. Aber die Mülleimer waren fast leer. "Ja, rufen wir die Polizei." Sie gingen wieder in ihre Wohnung. Nicht schnell, sondern mit schleppenden Schritten.

Da hörten sie es. Ein glucksendes Babylachen.

Und sie fanden ihr Baby. An Kassia geschmiegt, die leise schnurrend das Junge wärmte. In der dunklen Ecke unter der Treppe. Die Erleichterung war so groß, dass sie nichts sagten. Sie holten ihr Baby ... Kassia lief aufgeregt neben ihnen her. Karola und Kaha wechselten gemeinsam Karels Windeln. Sie wärmten ein Fläschchen und wunderten sich, dass Karel gar keinen Hunger zu haben schien. Er gluckste und lachte und es ging ihm offensichtlich gut. Kassia saß neben dem Wickeltisch und passte gut auf.

Es war viele Monate später. Karola ging es wunderbar. Sie und Kaha verstanden sich wieder und Karel war ein Sonnenschein.

Kassia war fast ständig bei dem Baby. Und Karel krähte und juchzte, wenn er sie nur sah.

"Sag Mama, mein Schatz." Karola lächelte. "Sag Mama." Karel schmatzte. Dann lächelte er und sprach sein erstes Wort: "Miejau" ... sagte Karel und strahlte und freute sich.

Eine Story von Iltschi-Arielle , Oktober 2007

Zuletzt geändert am 11.10.2008 23:24                Zurück zur Hauptnavigation

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