Weihnachts-Story 2000
Weihnachtsstory 2000 ... erzählt von FIEDJE Teil 1
Prolog:
Miaooo ... hier ist euer Bundeskatzler Fiedje. Und da ja nun Dosiland real
existent ist, habe ich mich entschlossen, wieder eine Story, die ich im
Revier erfuhr, meiner Dosine zu diktieren. Weil ich ein volksnaher Bundeskatzler
bin. Und mein Kabinett höchsten Ansprüchen genügt. Organisatorisch, logistisch
und ... wichtig! ... moralisch! Folgende Story erreichte mich auf Umwegen.
Informanten werden nicht preisgegeben. Personennamen sind rein erfunden
und nicht dem realen Dosi-Dasein entnommen ... miaooooo
WENDTLANDS MENSCHWERDUNG
Es war Anfang Dezember. Herr Wendtland packte seinen neuen Computer aus.
Er las akribisch die Gebrauchsanweisungen durch.
Herr Wendtland arbeitete in einer Behörde. Er arbeitete schon lange dort.
Seine Mutter, die ihn allein großgezogen hatte, hatte ihn dort als Azubi
untergebracht. Das war vor fünfzehn Jahren gewesen. Und er war damals 19
Jahre alt. Seine Mutter hatte ihn alleine großgezogen. Sie hatte nur vage
Andeutungen über seinen Vater gemacht. Aber nach ihrem Tod vor einem Jahr,
der ihn schwer getroffen hatte und seitdem er irgendwie in einem gefühlsmäßigen
Vacuum lebte, hatte er häufig über seine Herkunft nachgedacht. Er war jetzt
fast 35 Jahre alt. Und er kannte seinen Vater nicht. Seine Mutter war stets
sehr stark gewesen, um nicht zu sagen dominant. Er konnte es immer noch
nicht fassen, dass sie mit dem Erreichen der Rente gestorben war. Lag einfach
tot im Flur ... hatte ihn allein gelassen. Seine Mutter war stets sehr vorausschauend
gewesen. Deshalb gehörte die große Altbauwohnung jetzt eigentlich ihm. Zwar
hatte er Erbschaftssteuer zahlen müssen. Aber das konnte er mit seinem Gehalt
und den Ersparnissen schon hinbekommen. Und in zwei Jahren war die letzte
Rate fällig. Finanziell war also alles in Butter. Weshalb Herr Wendtland
sich jetzt zu Weihnachten auch einen Computer gekauft hatte! Seine Mutter
war dagegen gewesen. Immer. Und er war stets ein folgsamer Sohn gewesen.
Er hatte seine Mutter sehr lieb gehabt ... gehabt? Nein eigentlich würde
er sie wohl für immer lieben. In der Behörde hatte er den ersten Kontakt
mit Computern gehabt. Aber das waren zweckgebundene "Maschinen", die ihm,
auch auf Grund der Abneigung seiner Mutter, fast Angst einflößten. Nun gut,
er hatte gelernt, sie zweckgebunden zu benutzen. Hatte ihnen die Informationen
abgerungen, die er für seine Arbeit brauchte. Herr Wendtland galt als schwierig
und sehr zurückhaltend. Obwohl ihn eigentlich alle mochten. Vor allem seine
Intelligenz und stete Liebenswürdigkeit beeindruckten. Und dass ihm niemals
etwas zuviel war.
Alexander Wendtland hatte eine panische Angst vor Tieren. Diese Angst war
natürlich hausgemacht. Seine Mutter hatte ihm von klein auf die grässlichsten
Geschichten erzählt. Von Rotkäppchen und dem Wolf bis zu aufgebauschten
Geschichten von Hunden, die kleine Kinder erlegten und fraßen. Sie hatte
ihm eingebleut, dass Katzen falsch wären und dass sie kleine Kinder manchmal
erstickten, indem sie sich, während diese schliefen, auf ihr Gesicht legten.
Schon als Alexander noch am Heranwachsen war, hatte seine Mutter kaum noch
das Haus verlassen. Sie hatte ihm auch nie erlaubt, Freunde mitzubringen.
Nach der Schule hatte er immer sofort nach Hause zu kommen. Trotzdem wurde
er eigentlich kaum gehänselt. Sein scharfer, analytischer Verstand verschaffte
ihm bei aller Introvertiertheit Respekt. Bei den Lehrern, die auch seine
ruhige und zurückhaltende Art schätzten, wie auch bei den Mitschülern, die
ihn nicht einschätzen konnten. Da aber Spott an ihm abzuprallen schien,
bot er auch keine Angriffsfläche für physische Übergriffe. Aber Alexander
war einsam. Niemals hatte er einen echten Freund gehabt. Und er träumte
in der Pubertät wie jeder normale Junge auch von Frauen. Aber es blieb bei
den Träumen. Nie hätte er gewagt, einem Mädchen wirklich nahe zu kommen.
So waren die Jahre vergangen ...
Alexander Wendtland hatte seinen neuen Computer angeschlossen und diverse
Programme aufgespielt. Fast den ganzen Tag hatte er damit verbracht. Auf
einmal verspürte er Hunger. Wie meistens, war nichts im Haus. Jedenfalls
nichts, das man unmittelbar hätte essen können. Alexander beschloss, noch
einen kurzen Abendspaziergang zum Imbiss an der Ecke zu unternehmen. Das
war eigentlich neu für ihn, weil seine Mutter alles, was von fremden Händen
zubereitet war, für unrein hielt. Doch neun Monate, solange lag der Todestag
von Alexanders Mutter zurück, sind eine lange Zeit. Und Alexander musste
schließlich essen.
Am Imbiss war reger Betrieb. Unauffällig, wie er nun einmal war, reihte
Alexander sich in die Reihe der Wartenden ein. Vor ihm pöbelten zwei kahlrasierte
Jungendliche, einer so um die 16, der andere etwas älter, miteinander rum.
Alexander hasste ihre Sprache. Dieses ständige "eyhhhh" und "fuckyou". Fast
zog er sich noch ein bisschen mehr in sich zurück. Auf einmal sah er die
Katze. Das heißt, er sah eigentlich nur ihre Nase und zwei glühende Augen.
Sie hockte unter der Imbissbude. Alexander schaute in eine andere Richtung
... aber wie unter einem Zwang stehend, sah er wieder hin - geradewegs in
die leuchtenden Augen. Die glühenden Augen fixierten ihn. Dann sah auch
einer der Jugendlichen die Katzenaugen. "Ey, guck mal ... 'ne Chinesenschrippe..."
Er bückte sich: "Miezmiez ..." falsche Freundlichkeit lag in seiner Stimme.
Die glühenden Augen waren verschwunden. "He ... du da, weiß das Gesundheitsamt
davon, dass du hier Bakterienschleudern unter deiner Bude hast?" Der Imbissbetreiber
tat zunächst so, als hätte er nichts gehört. Alexander spürte, dass er sich
fürchtete. "Heee ... wir reden mit dir!" Dann antwortete der Budenkoch,
seine Stimme zitterte leicht: "Ich weiß nicht wovon ihr redet." "Na von
dieser Katzentöle da unter deinem Imbiss. Ist das deine?" "Ich habe keine
Tiere. Ist bestimmt ein Streuner." "Na ... und du fütterst das Vieh doch
bestimmt?" Der Wortführer hatte schmale Augen. Alexander konnte die Freude,
die dieser Mensch daran hatte, einen anderen einzuschüchtern, fast körperlich
fühlen. "Rattengift... Rattengift ist das Einzige, was da hilft." Alexander
wäre gern wieder gegangen. Zwar war er hungrig, aber der Disput zermürbte
ihn. "Na ... vielleicht brauchen wir ja nicht mal Rattengift. Deine Pommes
erfüllen da bestimmt auch ihren Zweck."
Der Imbissbetreiber bediente seine Kunden, obwohl seine Hand leicht zitterte.
"Weißt du was, wir kommen wieder und wenn das Vieh dann noch da ist ...
" demonstrativ hatte der Ältere von beiden auf einmal ein aufgestelltes
Klappmesser in der Hand. Er grinste. "Du willst doch sicher keine Kohle
für diesen verseuchten Kram..." mit diesen Worten nahm er die bestellten
Currywürste mit Pommes und die beiden Dosen Bier vom Thresen. Der Imbissbetreiber
sagte nichts, schüttelte dann aber unmerklich den Kopf. Die beiden trollten
sich zu einem der kleinen runden Tische. Alexander war dran. Mit leiser
Stimme bestellte er ein halbes Hähnchen zum Mitnehmen. In diesem Moment
kam die junge dunkelhaarige Frau, zur Hälfte türkischer Herkunft, die auf
630-DM-Basis im Imbiss arbeitete, um die Ecke. Alexander mochte sie. Sie
war immer so fröhlich und stets nett. "Hi Jochen" begrüßte sie ihren Chef
und "Guten Abend, Kunden." grüßte sie lächelnd beim Umbinden ihrer Schürze
in die kleine Runde. Sie nickte Alexander freundlich zu und Alexander lächelte
zaghaft zurück. "Na du Schnecke? Brauchst du's heute Abend noch?" tönte
es vom Tisch der beiden jungen Männer. Ein leichter Schatten glitt über
das strahlende Gesicht der jungen Frau. "Hat jemand was gesagt? Braucht
ihr 'ne Entschuldigung für die Schule morgen, Jungs?" sie sagte es so entwaffnend,
dass alle ringsum grinsen mussten. Der ältere der beiden fühlte sich aber
offenbar in seiner Männlichkeit gekränkt. Er wollte auf die junge Frau losgehen,
wurde aber von seinem Kumpel am Ärmel zurückgehalten. "Lass' es gut sein,
Walter. Bringt doch nichts." meinte der Jüngere zu seinem Kumpel. Nach kurzem
Disput ließ letzterer sich auch mitziehen. Allerdings nicht ohne vorher
die ketchupverschmierte Pappschüssel aus den Boden zu werfen und mit der
Stiefelspitze zu traktieren. "Nehm' dich in acht, Schlampe. Und die Katzentöle
da soll sich auch in acht nehmen."
Als die beiden außer Sichtweite waren, ging ein hörbares Aufatmen durch
die kleine Gruppe. Der Imbissbetreiber redete leise mit seiner Angestellten:
"Mach' das nicht wieder, Jutta. Die beiden sind zu allem fähig." Ihre Antwort
war lediglich: "Glaub' ich nicht." Dann wandte sie sich direkt an Alexander:
"Und was war das mit einer Katzentöle? Ich liebe nämlich Katzen. Ist hier
irgendwo eine?" Alexander antwortete, was ihm selber merkwürdig erschien:
"Ja, da waren eben Augen. Im Hohlraum unter dem Imbiss." "Na da muss ich
doch gleich mal ... haste was dagegen Jochen? Nein Jutta..." gab sie sich
gleich selbst die Antwort. Sie schnitt eine Bockwurst klein und verließ
den Imbiss. Dann ging sie mit dem Pappteller auf die dunkle Seite der Imbissbude.
"Würden Sie mir mal helfen. Sie haben sie doch auch gesehen." wandte sie
sich Alexander zu. Alexander ging mit seiner Tüte zu ihr und ging neben
ihr in die Hocke. Und da waren die Augen wieder, dieses Mal von einem deutlich
hörbaren langgezogenen "miaoooo" begleitet. Juttas sanfte Stimme redete
zu dem Tier. "Na Miezi ... hat du Hunger? Hier ist Juttali und ... wie heißen
Sie?" wandte sie sich unvermittelt an Alexander. "Alexander Wendtland."
antwortete Alexander automatisch , " ... ich bin's, die Jutta und das hier
ist der Alex,... na komm doch mal raus..." sie schob den Teller ein wenig
näher an das glühende Augenpaar heran.
Da ... zaghaft kam ein runder Katzenkopf zum Vorschein. Dann, im Zeitlupentempo,
die ganze Katze. Sie war grau getigert und sehr mager. Zunächst setzte sie
sich wieder. An der Seite hatte sie eine Rissverletzung. Das Fell war blutverkrustet.
Alexander spürte den Impuls, aufzuspringen und fortzulaufen. Aber die Gegenwart
der jungen Frau an seiner Seite hinderte ihn daran. Die Katze näherte sich,
vorsichtig sichernd, die kleine Nase zuckte ununterbrochen, dem Futterteller.
Alexander spürte tief in seinem Innern etwas Undefinierbares. Die Katze
fraß hastig. Sprungbereit. Falls jemand sie fangen oder ihr etwas antun
wollte, wäre sie auf jeden Fall schneller. Jedoch weder Jutta noch Alexander
machten Anstalten, ihr zu nahe zu kommen. Nachdem der Teller leer war, zog
sich die Katze sofort zurück in ihr Versteck. Jutta grinste Alex an: "Na
das war's dann wohl für heute. Aber haste das gesehen? Die ist verletzt.
Und schöön ist die. Hilfst du mir?" Unabsichtlich und wie selbstverständlich
war sie zum "DU" übergegangen. Alexander schluckte: "Na klar... " sagte
er und in einem Anfall von Mut: "Keine Frage...".
Alexander war wieder daheim. Unangerührt lag die Tüte mit dem halben Hähnchen
auf dem Küchentisch. Halbfertig wartete sein neuer Computer. Alexander fehlte
die Konzentration. Zum ersten Mal in seinem Leben fehlte ihm wirklich die
Konzentration. Er versuchte, seine Gedanken auszuschalten. Ein Thema kopfmäßig
zu halten. Aber es ging nicht. Immer wieder dachte er an Jutta ... und an
zwei glühende grüne Augen.
Alexander hatte unruhig geschlafen. War immer wieder hochgeschreckt. Gegen
fünf Uhr morgens erwachte er schweißgebadet. Ihn hatte geträumt, dass die
beiden Jugendlichen die Katze vergiften wollten. Es war ihm, als würde er
gerufen ... von einem kläglichen miaooo. Er lag im Dunkeln, die Augen schreckgeweitet
aufgerissen. Es hielt ihn nicht im Bett. Er warf die Decke beiseite und
sprang in seine Jeans und einen warmen Pullover. Es war schließlich Mitte
Dezember. Draußen hatte es angefangen, sanft zu schneien. Im Schein der
Straßenlaternen sah alles unwirklich weiß und neu aus. Alexander war schon
an der Tür als ihm einfiel, dass er vielleicht Futter mitnehmen sollte.
Er schaute in seinen eher mager bestückten Kühlschrank. Nein, eigentlich
nichts, was man einer Katze anbieten hätte können. Dann schaute er in den
Vorratsschrank. Da lag eine Dose Thunfisch. Noch haltbar bis Februar 2001,
stellte er fest. Fast wäre er schon wieder draußen gewesen, als ihm einfiel,
dass eine Dose ohne Dosenöffner wohl auch nichts bringt. Obwohl er das Gefühl
hatte, dass Eile not tat, zwang er sich jetzt zur Überlegung und packte
eine Tasche. Dose, Schüsselchen, Dosenöffner, Löffel ... mehr fiel ihm nicht
ein. Alex zog eine Mütze über den Kopf und ging los. Der Schnee war noch
nicht sehr hoch. Trotzdem konnte er seine Spur, wenn er sich umdrehte, zurückverfolgen.
In wenigen Minuten hatte er sein Ziel erreicht. Dunkel und trist wirkte
die Imbissbude. Verlassen. Irgendwie kam er sich dumm vor. Trotzdem klopfte
sein Herz bis zum Hals. Er näherte sich und kniete an gleicher Stelle nieder,
wie am frühen Vorabend gemeinsam mit Jutta. Dreimal musste er ansetzen,
um zumindest ein leises "Halloo" von sich geben zu können. Nichts geschah.
Auf einmal hörte er knirschende Schritte hinter sich im Schnee. Panisch
drehte er sich um ... Hinter ihm stand der Jüngere der beiden Jugendlichen,
jetzt auch mit Mütze. Alexander hielt Ausschau nach einem Fluchtweg. Da
erreichte ihn die Stimme des Jungen, der die rechte Hand mit der Fläche
nach außen erhoben hatte und rückwärts ging: "Nööö, du, ich bin's ... Hergen.
Ich wollte doch auch nur nach der Katze schauen. Hau jetzt nicht ab, bitte."
Alex Herzfrequenz senkte sich wieder. Der Junge sah wirklich sehr jung aus
und ehrlich. Wie er da so stand. Die Handfläche nach außen gedreht. Und
die er jetzt langsam zurücknahm und beide Hände in die Taschen der viel
zu weiten Hose steckte. Auf einmal wurde Alex sehr heiter. Der da hätte
theoretisch sein Sohn sein können. Er richtete sich auf.. Dann streckte
er dem Jungen spontan seine Hand entgegen: "Ich bin Alexander" sagte er,
und es klang äußerst selbstbewusst. "Dann kannst du mir auch helfen, da
du schon mal da bist." sagte Alex und nach kurzem Zögern "Hergen!"
Der Junge nahm nach ebenfalls kurzem Zaudern die Hand Alexanders. Dann hockte
er sich neben ihn. "Die kommt bestimmt nicht mehr. Hat sicher ein Zuhause."
meinte Hergen. Alex schaute etwas schräg auf den Jungen. " Du auch? Ich
meine, hast du auch ein Zuhause?" Der Junge sprang sofort auf: "Heeh ...
was soll das denn heißen. Willst du mich jetzt anmachen oder was? Bist du
vom Jugendamt?" Alex war erschrocken und richtete sich auch auf ... ...
aber in eben diesem Moment ... kam die Katze heraus.
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Ende des ersten Teils