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Die beiden Entführungen durch die Außerkätzischen in dem seltsamen blau-grauen Kasten und die damit einhergehenden Untersuchungen hatte der Große Vorsitzende gut und ohne Schäden überstanden. Im Gegenteil: Er fühlte sich gesünder denn je, strotzte vor Kraft und Beweglichkeit und selbst das gelegentliche Zwicken in den Tiefen seines dichten roten Fells war vollständig verschwunden. Die beiden Dosenöffner kümmerten sich rührend um ihn, die Futterschüssel war nie leer und es gab stets ein warmes Plätzchen, an dem er sich zusammenrollen und ein Schläfchen halten konnte.

Doch seine Gedanken waren bisweilen verwirrt. Tauchte die gefleckte Schöne auf der Gartenmauer auf oder kitzelte der Duft der jungen Dame aus dem zweiten Stock des Nachbarhauses seine Nase, war es um ihn geschehen. Stunden um Stunden verbrachte er unter ihrem Balkon und betete sie an, immer hoffend, dass sie eines Tages die Netze aufreißen und zu ihm hinabsteigen möge. Nicht besser erging es ihm, wenn der schwarze Haudegen seinen Weg kreuzte. Kaum erblickten sich die beiden, ging er in Deckung, sein Schwänzchen peitschte und er lauerte absprungbereit bis der Schwarze sich bewegte. Die Gesänge der beiden waren weithin zu hören und mehr als einmal traf die Kontrahenten ein Wasserstrahl von oben, wenn sie ihre Drohungen des Nächtens gar zu laut artikulierten. Kaum waren die Wunden des Kampfes verheilt ging es in die nächste Runde. Zwar ist unser Großer Vorsitzender ein geschickter und geübter Kämpfer, doch ohne Spuren ging es nur selten aus und er stellte sich bald fest, dass ihm der Schwarze nahezu gewachsen war. Mal gewann der eine und erweitete sein Revier um einige Meter, dann nutzte der andere einen strategischen Vorteil und eroberte sich einen Baum, eine Mauer oder einen besonders schönen Liegeplatz in einem der Gärten zurück.

Für den Großen Vorsitzenden gab es nur den Weg nach Vorn, am Schwarzen vorbei. Sein oberstes Ziel war es, der anwesenden Damenwelt zu zeigen, dass er - und niemand außer ihm - das Revier beherrschte und er es wert sei, die Welt mit einer roten Jugend zu bevölkern, die für die Verbreitung seiner Gedanken, Worte und Werke sorgte.

Sein unbändiger Drang nach Eroberung und Ausbreitung beunruhigte die Dosenöffner und schnell stand seitens der Pressesprecherin fest, dass etwas geschehen musste. Lange Gespräche mit dem Generalsekretär, von denen der Große Vorsitzende nichts wissen durfte, wurden geführt. Der Generalsekretär zweifelte überdies an den Plänen der Pressesprecherin, denn ihm lag viel an der körperlichen Unversehrtheit des großen Herrschers und Männer sind in dieser Hinsicht oft etwas sensibel.

Eines Abends stellte das Dienstpersonal den Service ein. Der Napf blieb leer und die Tür verschlossen. Der Große Vorsitzende nahm dies unter lautem und anhaltendem Protest zur Kenntnis. Draußen wartete die Welt auf ihn und er saß hungrig hinter der verschlossenen Verandatür, während andere sein Reich beschritten. Es wurde Nacht und er protestierte. Es wurde Morgen, endlich stand die Dosine auf und - die Futterschüssel blieb leer. Der Große Vorsitzende war verwirrt und hungrig. Als er zum dritten Mal seinen Napf inspizierte, merkte er, wie er von hinten angehoben wurde.

Er wusste genau, was nun passierte: Mit dem Schwänzchen voran sank er in die blau-graue Kiste hinab - unfähig, sich zu widersetzen, denn eine große Hand fädelte seine abwehrend gespreizten Beine geschickt hinein. Erneut wurde die kleine Kiste angehoben, in die große fahrende Kiste gestellt und nur wenige Augenblicke später fand er sich in dem weißen Raum wieder, den er von den früheren Untersuchungen kannte. Eine strahlend weiße Außerkätzische sprach im hellen Licht beruhigend auf ihn ein. Plötzlich stach ihn etwas und er wurde wieder in die kleine Kiste geschoben. Verwirrt saß er dort und merkte, wie seine Aufregung auf einmal nachließ. Er wurde müde ... so müde. Die Augen fielen ihm zu und er hatte nur noch den einen einzigen Gedanken ... Schlafen!

Als er wieder zu sich kam, saß er immer noch in der Kiste. Ihm war schwindelig, sein Körper, dessen er sich sonst stets völlig bewusst war, hatte sich aufgelöst. Seine Gedanken schwebten. Alle Geräusche, die er hören konnte, hallten lange nach und schienen erst auf Umwegen zu ihm zu gelangen. Sein Blick ging ins Leere und von Ferne hörte er seine Dosenöffnerin über ihn sprechen. Es verlor sich in einem Strudel aus Farben und Formen. Das nächste, an das er sich erinnern konnte, war, dass er in seinen Palast zurückgekehrt war. Er saß immer noch in der Kiste und konnte sich nicht aufrichten, weil er seine Beine nicht wiederfand. Zornig über seine missliche Lage fing der stolze Herrscher in seiner wenig stolzen Lage an, mit den Pfoten - da waren sie ja wieder! - durch das Gitter der Kiste zu greifen. Doch die Tür blieb verschlossen. Er rief laut um Hilfe, weil große weiße Mäuse an seinen Barthaaren ziehen wollten, doch niemand half ihm. Nur seine beiden Dosenöffner redeten einen zeitlosen Moment lang abwechselnd aus weiter Ferne beruhigend auf ihn ein.

Irgendwann kehrte die Zeit zurück und es stieg ein durchdringender Geruch nach Kater aus der Kiste auf. Nur wenige Augenblicke später wurde tatsächlich das Türchen geöffnet. Der Große Vorsitzende wollte entrüstet aus der Kiste schreiten, aber er hatte vergessen, seine Beine zu sortieren, die er jetzt wieder spürte. Etwas orientierungslos taumelte er im Salon umher, bis er endlich seinen Napf entdeckte, der jedoch immer noch leer war. Vorsichtig untersuchte er den großen Raum und als er endlich das Rote Sofa fand, wurde er vorsichtig darauf gehoben. Seine Ohrmuscheln brannten und sein hinteres Ende schmerzte. Es war bei einem ersten vorsichtigen Putzversuch ganz stoppelig und fühlte sich seltsam taub an, aber der große Herrscher ließ sich nichts anmerken, rollte sich bald zusammen und schlief wieder ein.

Im Traum erschien ihm ein großer schwarz-weißer Kater mit majestätischem Gesichtsausdruck. Der Fremde gab ihm zu verstehen, dass sein Leben sich von nun an ändern würde. Der Große Vorsitzende sei als Herrscher über das Katzenvolk auserwählt und habe es nicht verdient, sich im Kampf um die Damenwelt derart zu verschleißen. Die Gefahr, durch den Drang, den Mädchen zu imponieren, möglicherweise unter die Räder zu geraten, sei nun gebannt. Sollte er je aus seinem Revier vertrieben werden, werden ihn pflichtbewusste Dosenöffner zurückbringen, da er nun eine einzigartige Markierung erhaten habe. Der Große Vorsitzende könne sich beruhigt den strategischen Aspekten seiner Herrschaft widmen und eine wahre Führungspoition erlangen, wenn er sich nicht mehr den unkontrollierbaren Leidenschaften hingeben müsse. Der schwarz-weiße Kater zwinkerte ihm noch einmal zu und die Vision verblasste.

Einige Stunden später, es war inzwischen Dunkel geworden, waren die Dosenöffner des Großen Vorsitzenden bei der Wache über seinen Schlaf selbst auf dem Roten Sofa eingeschlafen. Er stand auf und wanderte in seinem Palast umher, unschlüssig darüber, was ihm heute widerfahren war. Inzwischen war die Futterschale gefüllt und nachdem er gegessen und seinen großen Durst gestillt hatte, weckte er die Dosenöffner. Zwar ließen sie ihn nicht hinaus, aber immerhin freuten sie sich sichtlich, dass es ihm gut ging und kraulten ihn ausgiebig. Erst am folgenden Tag durfte er sein Revier wieder durchstreifen.

Susie Krause, 17.11.2007

Zuletzt geändert am 11.10.2008 23:24                Zurück zur Hauptnavigation

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