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Der Hahn

Eines abends, die Finsternis war bereits über Dänemark gekommen, hockte ich lesend auf dem Sofa, als mich Außengeräusche aufschrecken ließen. Ich legte das Buch beiseite und schielte suchend in die Finsternis. Zuerst nur ein Spiegelbild meiner selbst sehend, erkannte ich dann zwei menschliche Gestalten durch unseren Garten Richtung Süden hechtend und Sekunden später zurückkehrend. Ich rief Tom und teilte ihm mit, daß sich fremde Menschen in unserem Garten befanden. Er trottete herbei, sagte nur "Na und" und guckte auch hinaus ... erkennend, daß es sich um den etwa 12 jährigen Sohn unserer Nachbarn in Begleitung eines Freundes handelte, die offenbar kopflos von A nach B und zurück flitzten.

Zuerst machte ich mir ein wenig Sorgen, weil Minka Outddoor war, dann aber erblickten wir die Ursache dieses scheinbar sinnlosen Intermezzos. Der Hahn unserer Nachbarn war augenscheinlich aus seinem Gehege entwichen und die Jungs versuchten diesen erfolglos einzufangen. Ich stellte mir Minka vor, wie sie sich vor Angst bebend in einer Hecke verkrümmelt hatte, denn dieser Hahn war schwarz, schwer und schien in der Blüte seiner Jahre zu stehen.

Da er sich mittlerweile auf unserer Vernada befand, bedeutete der Nachbarssohn mit Handzeichen, wir sollten die Türe bloß zu lassen und versuchte weiterhin das flügelschlagende Tier zu fangen. Erfolglos versteht sich. Herbeigelockt durch unserer beider Anwesenheit im Wohnzimmer und den von außen eindringenden nicht identifizierbaren Geräuschen, erschien Narses in gemächlichem Schritt, wie immer Erhabenheit und Hochmut ausstrahlend. Beides behielt er bei, als er zunächst ohne etwas erkennen zu können, durch die Verandatürscheibe linste und nur lärmende Kinder entdeckte, etwas, das er nun schon gewöhnt war und ihn nicht schrecken konnte.

Eine Weile spähte er in unverhohlener Großherrenmanier hinaus, spähte, linste und stutzte. "Oh Gott! Nein!" schienen seine Augen zu sagen, der Hahn raste auf die Tür zu, Narses Erhabenheit schlich von dannen, so nacktem Erschrecken Platz machend. Nur langsam richteten sich seine Nackenhaare auf ... Hahn mittlerweile unter dem Gartentisch, Narses duckt sich, Hahn rennt erneut auf die Tür zu, Narses unter das Bett und zwar in rekordverdächtiger Geschwindigkeit.

Der Hahn verläßt auf der Flucht unseren Garten, das Intermezzo wird in unserer Sackgasse fortgesetzt, demnach eine gute Gelegenheit, Narses Mut zuzusprechen, so denke ich, und kehre im Schlafzimmer ein, verlasse den Rollstuhl und lege mich bäuchlings auf den Boden, finde Narses, den Hochmütigen wenig hochmütig leicht zitternd unter dem Bett.

"Komm raus, Männlein. Katzen haben keine Angst vor Vögeln. Ein Hahn ist auch nur ein Vogel."

"Miiiiiihhh." ( Ein verdammt großer Vogel. Ein großer Vogel, der wütend ist.)

"Schon, aber immer noch ein Vogel. Hähnchen magst du gebraten doch gern."

"Miiiirrghh" ( Ja, gebraten. Gebraten ist das da auch viel kleiner)

"Stimmt. Aber du kennst ihn doch. Du läufst doch immer durch diesen Garten."

"Miiiaarggmeow!" (Dann ist der doch hinter Gitter. Und die anderen Hühner auch)

Das klingt in meinen Ohren höchst jämmerlich, zumal ich weiß, wie großkotzig er an den eingepferchten Hühnern vorbei zu gehen pflegt, sie gar verhöhnt, indem er auf das Dach des großen Gehegens aus Maschendraht springt, dort umher stolziert und so mißbilligendes und verängstigtes Gackern auslöst. Doch das kann ich ihm so nicht an den kleinen roten Kopf werfen, die Schmähung, diesen Verlust seiner Manneskraft kann er nicht ertragen.

Das wissend, versuche ich es mit einer anderen Methode. Ich erklimme den Rolli, löse die Bremsen und verlasse das Schlafzimmer, nicht ohne wie nebenher zu bemerken, daß sich Minka, ein Weib!, noch immer draussen in den unendlichen Weiten seines und ihres Revier befindet und dies alles heroisch erträgt. Natürlich teile ich ihm nicht mit, wie sehr ich mich um Minka sorge, fürchte, daß sie kopflos auf die Durchgangsstrasse rennt und so werfe ich mich in eine Jacke und rolle Minka suchend und rufend hinaus, nicht ohne eine Taschenlampe mitzunhemen.

Draussen stelle ich fest, daß der Hahn nicht mehr gejagt wird, er offenbar wieder zu Hause ich, also rufe ich noch eifriger und wundere mich nicht wenig, daß Narses plötzlich neben mir steht. Vermutllich hatte er seinen letzten Rest Mut gesammelt. Nach kurzer Zeit taucht Minkas Kopf aus einem Gebüsch auf. Kuhgleiches Glotzen. "Minkelino. Da bist du ja. Komm!" Aus der Hecke hervorschießend sagt sie "Brrrtlmek!", was soviel heißt wie: Endlich. Ich hatte solche Angst ... und wir drei kehren ein in die relative Sicherheit eines aus Mauern bestehnden Hauses. Narses und Minka verlassen an diesem Abend die Mauern nicht mehr.

Tiane, Oktober 1999

Zuletzt geändert am 11.10.2008 23:24                Zurück zur Hauptnavigation

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