Was spricht für die Kastration einer Kätzin?
Autor: Michael Grimm (kastration@odo.in-berlin.de)
Version: 1.0
Letzte Revision: 30.04.2002
Originalfassung: http://www.odo.in-berlin.de/kastration.html
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Dieser Text ist entstanden, da die Gründe für die Kastration einer
Kätzin in der Newsgruppe de.rec.tiere.katzen häufig hinterfragt
werden. Deshalb möchte ich versuchen, die rein medizinischen Aspekte
zusammenzufassen.
Sofern nicht anders angegeben, stützt sich dieser Text auf zwei Lehrbücher
der Veterinärmedizin [1,2] und ein
kürzlich erschienenes Fachbuch über Tumorerkrankungen [3].
1. Krebsgefahr
Der Sexualzyklus der Katze ist wie bei allen Säugetieren hormongesteuert,
d.h. ein kompliziertes Wechselspiel zwischen verschiedenartigen Hormonen
läßt eine Katze rollig werden, steuert nach einer Aufnahme die
Schwangerschaft und leitet schlußendlich die Geburt ein. Danach sind
hormonelle Vorgänge für die Milchproduktion verantwortlich, auch
das Versiegen der Milch ist hormongesteuert [4].
Die hierbei wichtigsten Hormone sind Estradiol und Progesteron. Man weiß
schon seit vielen Jahren, daß diese für uns so lebenswichtigen
Hormone leider auch beim Wachstum von Tumoren involviert sind. Sie stehen
sogar in Verdacht, direkt Krebs auszulösen, beim Zervikalkarzinom (Gebärmutterhals)
des Menschen ist dies bereits bewiesen.
Die Krebsentstehung geschieht vornehmlich in dem Körpergewebe, in dem
die für diese Hormone vorgesehenen Rezeptoren [5]
sitzen, also in den Sexualorganen, und vor allem, dort wo sie gebildet werden,
also in den Eierstöcken.
Bei jeder Rolligkeit schüttet eine Katze eine große Menge dieser
Hormone aus, womit sich das Risiko für sexualhormon-induzierte Krebsformen
erhöht. Beim Mammakarzinom (Brustkrebs) bspw. ist das Risiko für
eine unkastrierte Kätzin im Vergleich zu einer kastrierten um den Faktor
7 erhöht [6,7]. Ein Mammakarzinom
ist äußerst bösartig, weshalb die Prognose für eine
erkrankte Katze sehr schlecht ist [8]. Eine Kastration
verringert übrigens unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Durchführung
das Risiko für Karzinome deutlich [9,10].
Zum Glück sind Mammakarzinome bei der Katze nicht so häufig wie
beim Hund. Weitere von Krebs betroffene Organe sind Eierstöcke und
Gebärmutter.
Die Verringerung dieser Karzinomgefahr ist ein wichtiges Argument für
die Kastration einer Katze [11].
2. Gefahr für die Gebärmutter
Ein weiteres Argument für eine Kastration ist eine mitunter tödlich
verlaufende Komplikation unkastrierter Katzen, die man unter dem Sammelbegriff
des Pyometra-Endometritis-Komplexes zusammenfaßt. Hierbei handelt
es sich um entzündliche Prozesse der Gebärmutter (Pyometra), der
Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) und/oder Gewebeveränderungen
(Hyperplasie).
Es gibt im wesentlichen zwei Ursachen für solche Pyometren, Endometritiden
und Endometriumhyperplasien, und zwar Infektionen der Gebärmutter oder
aber Störungen im hormonellen Gleichgewicht des Zyklusgeschehens.
Ich zitiere einmal wörtlich aus [1] (die Fußnoten
stammen von mir):
Dabei wirken fortgeschrittenes Alter (meist ab 5-6 Jahren), Nichtbenutzung
der Reproduktionskapazität (vorwiegend nullipare [12]
Tiere) und Hormonbehandlungen (Östrogene, Gestagene) prädisponierend
[13].
Also auch hier spielen Hormone eine Rolle, dabei ist es egal, ob sie zugeführt
werden (Hormonbehandlung), oder ob sie im Verlauf des Sexualzyklus' produziert
werden.
Wer seine Katze über Jahre rollen läßt, ohne daß es
zu einer Schwangerschaft kommt, der bedenke bitte den Punkt "Nichtbenutzung
der Reproduktionskapazität".
Eine Gebärmutterentzündung ist immer eine gefährliche Erkrankung,
die schnellstens behandelt werden muß, in der Regel durch eine chirurgische
Entfernung (Hysterektomie). Leider erkennt ein Laie eine solche Entzündung
meist erst in einem Stadium, wo nur noch eine Operation möglich ist.
Warum ist eine solche Entzündung so lebensgefährlich? Weil die
Gebärmutter sich mit Eiter füllt, die Gebärmutterschleimhäute
und Gebärmutterwände sich "auflösen" und brüchig
werden. Im Endstadium "platzt" die Gebärmutter und der Eiter
ergießt sich in die Bauchhöhle, die sich daran anschließende
Entzündung im Bauchraum endet in der Regel tödlich.
Selbst die Operation ist gefährlich, da das Gewebe so brüchig
sein kann, daß der Chirurg sie mit Samthandschuhen anfassen muß,
damit sie ihm beim Herausholen nicht unter den Händen platzt.
3. Gefahr der Dauerrolligkeit
Der Sexualzyklus einer Katze unterscheidet sich fundamental von dem einer
Frau. Zur Erklärung der Dauerrolligkeit muß ich auf diese Unterschiede
näher eingehen.
Der Sexualzyklus beginnt mit einer durchschnittlich sieben Tage andauernden
Follikelphase [14]. In diesem Zeitraum reifen an jedem
der beiden Eierstöcke (Ovarien) drei bis sieben Follikel heran, also
Vorstufen der zu befruchtenden Eier.
Bei der Frau wird das Ei (selten die Eier) mittels Eisprung (Ovulation)
in die Gebärmutter verbracht, wo es auf seine Bestimmung einen Zyklus
lang wartet. Im Falle einer verpaßten Befruchtung kommt es am Ende
eines Sexualzyklus zur Ablösung aus der Gebärmutterschleimhaut,
was in einem blutigen Vorgang (Menstruation) endet.
Bei der Kätzin hingegen kommt es erst 25 bis 32 Stunden nach der Paarung
zum Eisprung, ausgelöst durch einen Vaginalreiz über die sogenannten
Penisstacheln des Katers. Die ausgereiften Eier wandern in die Gebärmutter,
wo sie von den immer noch fertilen Spermien befruchtet werden. Es werden
also keine Eier in der Gebärmutter "vorgehalten" [15].
Kommt es im Verlauf der Rolligkeit zu keinem Deckakt, gibt es auch keinen
Eisprung. Man spricht dann von einem sogenannten anovulatorischen Zyklus.
Im Normalfall bilden sich nun die zuvor ausgebildeten Follikel zurück
(Follikelatresie), und es folgt durch die hierbei ausgelöste hormonelle
Zyklusumstellung eine mehr oder minder lange Ruhephase. Danach beginnt eine
erneute Rolligkeit, und diese Aneinanderreihung von Rolligkeits- und Ruhephasen
wird nur durch eine Schwangerschaft oder das saisonale Erliegen der Rolligkeit
im Winter unterbrochen.
Je häufiger solche Zyklen ohne abschließende Schwangerschaft
durchlaufen werden, desto größer wird die Gefahr, daß es
zu einer gefährlichen Anomalie im Anschluß an eine Follikelphase
kommt: Statt der normalen Rückbildung der Follikel entarten diese zu
Zysten. Aufgrund der damit gleichzeitig ausbleibenden hormonellen "Beruhigung"
des Zyklus wird die Katze dauerrollig. Die Katze ist unruhig und magert
wegen Freßunlust [16] stark ab. Durch das starke
Anschwellen der Schleimhäute im Uro-Genitaltrakt kann es zu erschwertem
Harnabsatz kommen, die Zysten auf den Eierstöcken sind je nach Zeitdauer
der Dauerrolligkeit mehr oder minder groß.
Die Dauerrolligkeit (Nymphomanie) ist eine ernsthafte und bedrohliche Erkrankung
für die Katze und bedarf unbedingt einer tierärztlichen Betreuung.
Man kann versuchen, den aus dem Ruder gelaufenen Sexualzyklus durch Homongabe
zu "bändigen". In der Regel wird der TA aber eine Kastration
inklusive Gebärmutterentfernung (Ovariohysterektomie) vornehmen.
4. Persönliche Anmerkung
Es soll nicht der Eindruck entstehen, daß die oben aufgeführten möglichen Komplikationen auf jeden Fall eintreten werden, wenn man eine Kätzin nicht kastriert. Ich bin allerdings davon überzeugt, daß man sie einem erhöhten Risiko aussetzt, ernsthaft zu erkranken. Deshalb ließe ich persönlich meine Katzen immer kastrieren.
5. Literatur
[1] V. Schmidt/M. Horzinek, "Krankheiten der Katze,
Band 1+2", Enke Verlag, Stuttgart 1997
[2] W. Kraft/U. M. Dürr, "Katzen-Krankheiten",
Schaper Verlag, Hannover 1996
[3] Kessler, "Kleintieronkologie", Parey Verlag,
Berlin 2000
[4] Es gibt noch wesentlich mehr hormonell gesteuerte Vorgänge,
aber ich beschränke mich auf's Thema: Kastration.
[5] Ein Rezeptor ist ein Protein (Eiweißmolekül),
das eine für ein bestimmtes Hormon spezifische Bindestelle hat und
darüber einen vom Hormon "vorgesehenen" Effekt auslöst.
[6] Dorn et al., J. Natl. Cancer Inst. 1968, 40, 295-305
[7] Dorn et al., J. Natl. Cancer Inst. 1968, 40, 307-318
[8] Ungefähr 80 bis 90 Prozent aller Mammatumoren neigen
zum raschen Wachstum und zur Metastasierung in die regionalen Lymphknoten
und Lunge.
[9] Hayes et al., Vet. Clin. North Am. [Sm. Anim. Pract.]
1985, 15, 513-519
[10] Misdorp et al., Tijdschr. Diergeneeskd 1992, 117,
2-4
[11] Sinngemäß trifft dies auch auf den Kater
zu.
[12] Nullipar ist der medizinische Ausdruck für solche
Frauen, die niemals entbunden haben, hier natürlich Kätzin.
[13] Einem erhöhten Risiko ausgesetzt
[14] Das ist die vom Besitzer beobachtete Phase, in der
die Katze sich abrollt (Rolligkeit), ausgeprägte Laute (Raunze) verlauten
läßt und zu häufigerem Urinieren und Harnmarkieren neigt.
[15] Deshalb muß auch kein Ei aus der Gebärmutterschleimhaut
abgestoßen werden, während die Katze rollig ist. Ergo, hat die
Katze auch keine Menstruation.
[16] Diese Freßunlust kann auch bei einer normalen
Rolligkeit beobachtet werden.