Der Wurm und sein Wirt - eine noch längst nicht aufgeklärte Beziehung
Würmer können Mensch und Tier zweifellos krank machen. So leiden in den
Subtropen und Tropen etwa 200 Millionen Menschen an Bilharziose (oder Schistosomiasis),
einer Krankheit, die durch Saugwürmer hervorgerufen wird und die Nieren
und Harnwege sowie Leber und Darm schädigt.
Katzen und Hunde werden von Band-, Haken- und vor allem von Spulwürmern
befallen. Sie schädigen den Darm, verursachen Durchfälle, ihre Stoffwechselprodukte
können innere Organe schädigen, und massiv wurmbefallene Tiere magern stark
ab, weil ihnen die Würmer die Nährstoffe im Darm entziehen.
Ist es daher richtig, zur Vorsorge regelmäßig - zum Beispiel alle drei Monate
- zu entwurmen, wie man oft lesen kann? Dr. Doris Quinten-Graef rät in ihrem
Buch "Was fehlt denn meiner Katze?" davon ab: "Außer Katzenbabys, die grundsätzlich
nach dem Absetzen von der Mutter entwurmt werden sollten, ist eine regelmäßige
Entwurmung nicht zu empfehlen. Durch eine mikroskopische Kotuntersuchung
sollte zunächst festgestellt werden, ob die Katze tatsächlich Würmer in
ihrem Darm beherbergt. Nur dann, wenn das Tier wirklich verwurmt ist, sollte
ein Medikament eingesetzt werden. Unnötiges Entwurmen belastet die Leber."
Vielleicht gibt es aber noch einen anderen Grund, nicht dauernd zu entwurmen.
Es könnte sich nämlich herausstellen, daß Würmer nicht nur von Übel sind,
solange sie nicht überhand nehmen im Körper ihres Wirtes und ihn krank machen.
Möglicherweise spielen Würmer im Immunsystem sogar eine wichtige Rolle.
Allergologen diskutieren schon länger einen Zusammenhang von Wurmbefall
im Kindesalter und Allergieentstehung: Menschen, die im Kindesalter mal
Würmer hatten, erkranken weniger häufig an Allergien als solche, die nie
mit Würmern infiziert waren.
Und dann gibt es noch das "afrikanische Rätsel": Menschen in Lateinamerika
und in Afrika sind gleichermaßen mit Helicobacter pylori infiziert. Dieses
Bakterium kann Krankheiten von der Magenschleimhautentzündung bis hin zum
Magenkrebs verursachen. In Afrika tritt Magenkrebs durch Helicobacter aber
viel seltener auf als in Lateinamerika. Als eine Erklärung dafür wird diskutiert,
daß gleichzeitiger Wurmbefall die Afrikaner vor diesen Folgen der Helicobacter-Infektion
schützt.
Bei Mäusen ist das jedenfalls so, wie Wissenschaftler herausgefunden haben.
Mäuse wurden mit Helicobacter felis infiziert, einer der Helicobacter-Arten,
die man bei Katzen findet. Eine Gruppe der Versuchstiere wurde zugleich
auch mit Heligmosomoides polygyrus infiziert. Das ist eine Wurmart, die
Mäuse befällt und zu den Nematoden gehört (Faden- und Spulwürmer). Die wurminfizierten
Helicobacter-Mäuse hatten deutlich weniger Entzündungserscheinungen als
die Mäusegruppe, die keine Würmer hatte. Die verwurmten Mäuse zeigten auf
die Helicobacter-Infektion eine andere Immunreaktion als die nicht verwurmten,
und zwar ein anderes Verhältnis von T-Helfer-1- und T-Helfer-2-Zellen. Je
mehr TH 1, desto eher wird der Magen krank. Sind hingegen viele TH-2-Zellen
vorhanden, kommt es zu gar keiner oder nur zu einer leichten Entzündung
der Magenschleimhaut. Und es ist die Wurminfektion, die das Immunsystem
mehr TH 2 produzieren läßt.
Sicherlich kann man aus den heute vorliegenden Daten nicht den Schluß ziehen,
daß Würmer per se gesund sind und Katzen oder Hunde lieber ein bißchen verwurmt
sein sollten. Verwurmung kann zum Beispiel die Impfung der Jungtiere zunichte
machen, was auch ein Grund ist, weshalb die Welpen vor den ersten Impfungen
entwurmt werden sollen.
Viele erwachsene Katzen werden mit Würmern jedoch ganz gut selbst fertig,
so auch unsere Kater, die, obwohl Freigänger, noch nie die geringsten Anzeichen
einer Wurminfektion gezeigt haben. Für Katzen, die diese Parasiten nicht
selbst loswerden, besteht aber Hoffnung: Forscher arbeiten daran, den natürlichen
Abstoßungsmechanismus im Darm zu ergründen. Ein Molekül namens IL-4 bewirkt,
daß die Würmer ausgestoßen werden, bevor sie Schaden anrichten. Vielleicht
ermöglichen diese Forschungen eines Tages ein Wurmmittel, das nicht so giftig
und belastend ist wie die heute verfügbaren.
Nicht nur unnötiges Entwurmen, auch übergroße Hygiene und Abschirmung vor
allen Keimen können schaden. Kinder, die auf dem Bauernhof leben und mit
vielen Keimen in Berührung kommen, haben einen Schutz vor Asthma und Heuschnupfen,
wie eine neue Studie vom Mai 2001 zeigte. Und: Virusinfektionen im ersten
Lebensjahr senken das Allergierisiko in der Kindheit um die Hälfte. In der
Humanmedizin ist man sich ziemlich einig, daß das Immunsystem beschäftigt
sein will, damit es nicht Amok läuft und zum Beispiel Allergien entstehen.
Viren, Bakterien und Würmer sind Trainingspartner für das Immunsystem von
Mensch und Tier. Die neueren Überlegungen über die Rolle von Parasiten im
Immunsystem sollten uns nachdenklich machen, und wir sollten jedenfalls
nicht routinemäßig alle drei Monate oder gar öfter mit Medikamenten auf
mögliche Würmer losgehen.
Copyright 2001: Monika Peichl (mopeichl@aol.com)
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