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Teddys, Katzen und Weihnachten

Der alte graue Kater lebte schon sehr lange auf der Straße.

Immer war das nicht so gewesen. Früher einmal, da war er zunächst noch ein Kätzchen, hatte er eine Familie.

Da war eine junge Frau, die ihm immer leckeres Futter hingestellt hatte und ein Mann, der ihn oft streichelte.

Und vor allem war da ein ganz niedlicher junger Mensch, auf den der Kater immer aufpasste. Der kleine Mensch war ihm wie ein Junges. Und er bewachte ihn gut.

Dann jedoch kamen große Veränderungen. Seine ganze Umgebung wurde eingepackt. Das gefiel weder ihm noch seinem kleinen Menschenjungen. Aber es half ihnen nichts. Auch wenn es gerade um die Weihnachtszeit herum war.

Und beide reagierten auf ihre Art. Der Kater verkroch sich und der Menschenjunge zog sich späterhin für lange Zeit in sich selbst zurück.

Es war ein nettes neues Haus, eigentlich wunderschön, in das der Kater und der Junge umziehen sollten. Aber alles war so fremd.

Der Kater saß in seiner Box, eingesperrt und beobachtend. Aber die Tür war defekt und es gelang ihm, sie aufzustemmen.

Und dann rannte und rannte er. Er wollte zurück in sein altes Zuhause, das viele hundert Kilometer weit weg war. Er ahnte nicht, dass seine Lieben sich an dem Ort befanden, vor dem er flüchtete.

Dann wurde sein Leben für viele Jahre sehr schwierig. Zecken und Flöhe plagten ihn. Viele Kämpfe mit fremden Katern in fremden Revieren musste er durchstehen. Und oft wurde er verletzt. Sein linkes Ohr sah ganz ausgefranst aus. Eigentlich ist dieser Teil der Geschichte viele Seiten lang. Aber wir wollen ja eine Weihnachtsgeschichte erzählen. Deshalb belassen wir es dabei.

In der Straße in dieser norddeutschen Stadt hatte er nach vielen Jahren ein Auskommen gefunden. Es schienen nur nette Menschen hier zu wohnen.

Sie, mehrere Menschen aus der Straße, kredenzten ihm täglich Futter. Mal mehr mal weniger lecker. Der Kater war nicht wählerisch. Satt sein war wichtig. Der alte Kater konnte es nach all seinen Erlebnissen manchmal kaum fassen, dass es auch nette Menschen gab, obwohl er eigentlich fand, dass es ihm zustand. Schließlich bewachte er die ganze Straße.

Und sie versuchten nie, ihn zu fangen. Ganz langsam fasste er Vertrauen zu den meisten Zweibeinern in dieser besonderen Straße.

Zurückblickend lässt sich sagen, es war jedenfalls ein dritter Advent, als diese Familie neu einzog in die Straße.

Der Kater lag im Gebüsch und beobachtete.

Nun müsst ihr wissen, dass Katzen ihre Umwelt im Wesentlichen, ein paar Farben können sie schon sehen, ROT zum Beispiel, nur schwarzweiß wahrnehmen.

Und als die junge Frau am Nachmittag in der Wintersonne mit ihrem Baby spazieren fuhr, fiel für den Kater im Gebüsch wahrnehmbar nur so etwas Dunkles aus dem Kinderwagen.

Viel später lief er hin und beschnupperte das Ding. Der Geruch war ihm so vertraut. Immer wieder rieb er seine Duftdrüsen an dem felligen kleinen Gegenstand. Er erinnerte sich.

Er zerrte das fellige Teil in seinen Unterschlupf in einem Gebüsch unter Balkonen. Und bewachte es.

In der jungen Familie herrschte am Abend helle Aufregung. Der Teddy war verschwunden. Und das Baby weigerte sich strikt, ohne sein Kuscheltier einzuschlafen. Es schrie und schrie und schrie sich in den Schlaf. Die Eltern waren verzweifelt.

Am nächsten Tag gaben sie eine Anzeige auf in der örtlichen Tageszeitung unter der Rubrik "Verloren/Gefunden" mit dem Text: Verzweifelte Bitte: Bitte geben Sie uns den kleinen braunen Teddy zurück, verloren am dritten Advent irgendwo im Stadtteil Ost oder adoptieren Sie unser Baby.

Die Leser spürten die echte Hilflosigkeit hinter dem humorigen Text und nahmen regen Anteil. Aber keiner hatte den Teddy gefunden. Trotzdem wurden viele Teddys für das Baby abgegeben. Aber die fremden Teddys zeigten überhaupt keine Wirkung auf das eigensinnige Kind.

Am Tag vor dem Heiligen Abend saß das junge Ehepaar beim Frühstück, das Baby saß im Hochstuhl und ließ sich nur widerwillig füttern, als sie die Katze vor der Balkontür wahrnahmen.

Gravitätisch wie eine Statue saß der Kater da und schaute in die Küche des jungen Paares.

Die Augen des jungen Ehemannes wurden schmal. Grüblerisch runzelte er seine Stirn. Er stand auf und ging zur Balkontür. Der Kater stand wie eine Statue.

Als die Balkontür geöffnet wurde stand der Kater auf, peitschte mit dem Schwanz und verschwand im Gebüsch.

Nachdenklich kehrte der junge Mann an den Frühstückstisch zurück, die Stirn gerunzelt.

"Was ist denn, Schatz?" fragte seine Frau.

"Ich könnte schwören ... ach Quatsch, ist ja Unsinn." sagte er, küsste sie und zog seine Jacke an, um zur Arbeit zu gehen.

Das Baby krähte in den höchsten Tönen und zeigte mit seinen Patschhändchen zur Balkontür.

Der nächste Tag war sehr hektisch. Leider ist das ja öfter so am Heiligen Abend. Die Eltern des jungen Mannes, Schwiegereltern der jungen Frau, Großeltern des Babys, wurden erwartet. Und die junge Frau wollte ihr neues Zuhause, ihre Familie supergut präsentieren. Sie war ja so aufgeregt.

Letzte Hand wurde angelegt. Hier und da noch rumgezupft.

Aber das Baby schien nach wie vor unzufrieden und quengelte.

Am frühen Nachmittag aktivierte der junge Mann probeweise die elektrischen Kerzen am Baum. Es sah sehr schön aus.

Da sah er den dunklen Schatten vor der Balkontür und stutzte. Und bemerkte die Silhouette der Katze direkt vor der Terrassentür. Und wieder war ihm, als habe er ein dejá-vu-Erlebnis.

Vorsichtig ging er zur Tür und öffnete sie. Der Kater stand wie eine Statue.

Dann stand er ihm gegenüber. Sie sahen einander in die Augen. Die des Katers waren weit aufgerissen und grün. Die des Mannes schauten irgendwie hilflos.

Vor dem Kater lag etwas Dunkles. Die Augen des Mannes verirrten sich zu dem Gegenstand.

Es war der kleine braune Teddy. Das Kuscheltier, das schon der Mann geliebt hatte, neben seiner Katze, als er noch ein Kind war.

Er ging in die Hocke. Dicke Feuchtigkeit in den Augenwinkeln.

Und der Kater ging auf ihn zu. Laut schnurrend rieb er sich an seinen Knien.

"Bist du es, bist du es wirklich?"

Es gab keinen Zweifel. Der Kater war zwar nicht tätowiert und hatte sich verändert in den vergangenen elf Jahren, aber eines war unverwechselbar: Das Fellmal in Kreuzform auf seinem Nasenrücken.

Was soll ich jetzt noch dazu sagen? Der kleine Teddy war ja x-mal gewaschen, aber natürlich auch immer wieder angefasst worden. Teddys sind eben etwas ganz Besonderes.

Final wäre noch zu berichten, dass das Baby vor Entzücken laut gekräht hat, lange vor der Bescherung, als es seinen Teddy zurückbekam.

Dass die Eltern des jungen Mannes jetzt wieder an Vorsehung glauben.

Und dass der junge Mann allabendlich mit seinem Kater kuschelnd auf dem Sofa liegt.

Dass die junge Ehefrau ein wunderschönes entspanntes Weihnachten hatte, sehr gelobt von den Schwiegereltern.

... und dass der Kater wieder ein richtiges Daheim hatte.

Fiedje, zu Weihnachten 2005

Zuletzt geändert am 11.10.2008 23:24                Zurück zur Hauptnavigation

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